Videospiele haben Potential – Doch wird es genutzt?
Die Zeiten, in denen Gamer als stubenhockende Nerds verunglimpft wurden, sind glücklicherweise längst vorbei. Das Zocken auf PC, Konsole und Handy ist ein in der Gesellschaft weit verbreitetes Hobby und selbst Politiker nehmen die Belange der Gamer zur Kenntnis. Das prominenteste Beispiel ist sicher die Eröffnung der Gamescom 2017 durch Angela Merkel. Es wurden viele Versprechen ausgesprochen, um Gaming und E-Sport in Deutschland zu unterstützen und zu fördern, doch bisher ist wenig passiert. Wer sich die einzelnen Sektoren des deutschen Videospielmarktes ansieht, erkennt jedoch die Potentiale, die sich für Wirtschaft und Gesellschaft bieten.
E-Sport im Aufwind
Der deutsche Games-Markt ist mit einem Umsatz von jährlich 6 Milliarden Euro der europaweit größte Markt für Videospiele. Doch für manche ist Gaming mehr als nur ein paar Mal die Woche daddeln. Der E-Sport, also der Wettkampf im virtuellen Raum, erlaubt es eifrigen Zockern ihren Lebensunterhalt mit Videospielen zu verdienen. Die Preisgelder der größten Turniere liegen teilweise in zweistelliger Millionenhöhe. Dazu kommen für ambitionierte Profis, Sponsorenverträge oder sogar eine Festanstellung in Teams oder Clans. Möglich ist dies nur dadurch, dass Fans die Turniere leidenschaftlich bei YouTube oder Twitch, teilweise sogar live vor Ort verfolgen.
Seit Jahren wird in Deutschland darum gekämpft, dass der E-Sport mit dem klassischen Sport rechtlich gleichgestellt wird, aber noch zieren sich die Entscheidungsträger. Doch der Boom, der durch eine solche Anerkennung ausgelöst werden könnte, ist gewaltig. Wer ein Beispiel dafür sucht, wie ein großzügig geförderter E-Sport-Sektor die Wirtschaft beeinflusst, muss nur nach Südkorea blicken. Das Spiel Starcraft welches im Jahr 1998 erschienen ist, hat dort längst Kultstatus erreicht. Wöchentliche Turniere, die live im Fernsehen auf E-Sport-Sendern übertragen werden, erreichen ein breites Publikum. Kommentatoren sind oft selbst Profis und die erfolgreichsten Spieler die unter Nicknames wie Flash, Boxer oder Hero antreten werden gefeiert wie ein Manuel Neuer oder Thomas Müller. Das Privatfernsehen hatte sicher einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf diese Entwicklung, erlaubt es doch der Gesellschaft die Teilhabe an diesen Wettkämpfen. Die Entwicklung ist vergleichbar mit der des Fußballs in Deutschland, eingeleitet durch Formate wie „Sportschau“ oder „Anpfiff“ noch werden solche Potentiale aber hierzulande leider verschlafen.
Schädliche Debatten kosten Akzeptanz
Videospielen fehlt es aber auch in anderen Bereichen an Anerkennung. Auch wenn sich die Situation für Gamer insgesamt verbessert hat, der Stand der Spiele selber bleibt schwierig. Die Debatte, ob Games Kunst sind, wird höchstens Pro-Forma geführt. Stattdessen werden längst wieder abwertende Diskussionen geführt, die teilweise ganze Genres diffamieren sollen. So wurde im Anschluss der Silvester-Krawalle am Anfang des Jahres in einer Diskussion des „Presseclubs“ mit der Frage nach den Ursachen der Gewalt leichtfertig Videospiele als Grund für den Anstieg der Gewaltdelikte bei jungen Männern genannt. So wird erneut ein Diskurs gestartet, mit dem Ziel die Öffentlichkeit gegen Spiele aufzuwiegeln, ganz ähnlich der bisherigen Killerspiel-Debatten. Woher die Journalistin Eva Quadbeck die Gewissheit nimmt, dass auch nur einer der beteiligten Personen gewaltverherrlichende Videospiele spielte, erklärt sie nicht. Stattdessen werden Argumente vorgebracht, die keinerlei Basis abseits von Hörensagen haben, etwa dass das „Morden“ in einem Videospiel zu einem Enthemmen im realen Leben führt. Dabei belegen Langzeitstudien keinesfalls eine Zunahme von Gewalt bei Jugendlichen. Die Folgen einer solchen Anschuldigung im Fernsehen zu einem aufgeladenen Thema wie der Jugendgewalt, welches dazu auch noch mit dem Thema Migration verbunden wurde, sind verheerend. Sie sorgen gerade bei Personen, die keinen Bezug zu dem Thema Videospielen habenb für eine stark ablehnende Haltung gegenüber dem Videospielkonsum von Jugendlichen. Dabei könnte eine steigende Akzeptanz gerade hier zu einem Pull-Effekt führen und eine effizientere Vermarktung ermöglichen.
Dabei sind die positiven Auswirkungen von Videospielen für Jugendliche durchaus belegt. So empfiehlt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einen stärkeren Einsatz von digitalen Lernspielen in der Schule. So soll die Motivation der Schüler erhöht werden, sich mit dem Lernstoff auseinanderzusetzen und gleichzeitig eine praktischere Auseinandersetzung mit eher theoretischen Themen aus Physik und Geschichte möglich sein. Doch nicht nur Jugendliche profitieren von Videospielen. Auch Erwachsene kommen im Alltag immer öfter mit Konzepten aus der Games-Szene in Kontakt.
Gamification als Chance für Bildung und Gesundheit
Eines dieser Konzepte ist die Gamification. So werden spieltypische Elemente in anderen Kontexten eingesetzt. Ein solches Beispiel sind Fitness und Sprachlern-Apps, hier wird der Fortschritt beziehungsweise das Erreichen von Trainingszielen belohnt durch ein Auftauchen in Bestenlisten oder Erfolge, meist als Achievements bezeichnet. Videospiele bedienen sich schon länger an verhaltenspsychologischen Erkenntnissen, unter anderem der positiven Verstärkung. Knapp zusammengefasst bedeutet dieser Begriff, dass nach einem gezeigten Verhalten ein Anwender durch einen positiv erlebten Reiz belohnt wird, dadurch soll dieses Verhalten öfter gezeigt werden. Videospiele belohnen Spieler durch als angenehm empfundene visuelle oder Audio-Effekte. Bei einem Level-Up oder Achievement blinkt der Bildschirm hell auf und ein angenehmer Audiosound wird abgespielt.
Dass solche Mechanismen funktionieren, machen sich zum Beispiel auch Glücksspielautomaten zu nutzen, die Spieler so länger an den Automaten halten wollen. Doch sind die Chancen gerade bei Self-Improvment-Apps im Bereich Bildung oder Sport ebenso nützlich. Wer zehn Minuten Spanisch gelernt hat, wird mit einem hübschen Level-Up Effekt in einer App belohnt. Und durch Spiele wie Ring Fit, die das Training vor dem Bildschirm in Verbindung mit dem Besiegen von Drachen und Monstern stellen, erfährt der Spieler die Belohnung gleich in mehrfacher Art. Glücksgefühle ausgelöst durch sportliche Betätigung, das Besiegen von Gegnern, Achievements und Freischalten von neuen Funktionen. So werden mittlerweile auch in der Kinder- und Jugendbildung größere Erfolge durch Gamification erzielt. Doch damit die Gamification in Deutschland stärker Einzug in den Alltag erhält, braucht es vor allem Eines – nämlich Games-Entwickler und -Designer.
Förderung von lokalen Entwicklern
Größere lokale Spieleentwickler sind durchaus in Deutschland angesiedelt, es gibt etwa 20 Studios mit mehr als 100 Mitarbeitern, aber das größte Unternehmen „Ubisoft Düsseldorf“ ist mit knapp 500 Mitarbeitern eher ein Zwerg verglichen mit den größten Entwicklerstudios anderer Länder. So arbeiten bei den Branchengrößen mehrere Tausend Beschäftigte. Die Ursachen, warum Deutschland hier nicht aufholen, kann sind vielfältig. Zum einen werden aufstrebende Entwicklerstudios schnell von Publishern aufgekauft und verlieren so ihre Unabhängigkeit. Vor allem Publisher wie EA, Microsoft oder Tencent schlagen gerne zu und machen Angebote, die die Entwickler nicht ablehnen können. Doch oft folgt danach ein schleichender Niedergang und nur selten schafft es ein Entwickler weiterhin erfolgreich unter einem großen Publisher zu bestehen. Studios wie Visceral Games oder aktuell auch Luminous Productions zeigen, dass Studios schnell geschlossen werden, wenn sie nicht die Ziele der Publisher erreichen.
Aber zum anderen fehlt es an lokaler Unterstützung und Subventionen, mit 50 Millionen ist der Fördertopf für Computerspiele des Bundes äußerst gering angesetzt. Denn die Games-Branche hat im Vergleich zu anderen Unternehmen lange Entwicklungsphasen, in denen kein Einkommen erwirtschaftet wird. Zwischen drei bis fünf Jahre dauert die Entwicklung eines Spiels im Durchschnitt und die Kosten, die durch Mitarbeiter, Mieten, Steuern und Marketing in der Zeit entstehen sind beträchtlich. Gerade junge Gründer arbeiten meist in einem weiteren Beruf, um sich ihre Leidenschaft Spieleentwicklung leisten zu können. Aber es fehlt auch nicht nur an Geld, auch die Infrastruktur in macht es angehenden Entwicklern schwer, Fuß zu fassen. Die Digitalisierung hinkt hinterher, der Ausbau von Glasfaserkabeln ist selbst in Großstädten nicht flächendeckend realisiert und vielerorts noch nicht einmal angedacht. Gerade in Bereichen, in denen die Homeofficequote sehr hoch ist, sind solche Hemmnisse höchst problematisch für aufstrebende Entwickler.
Fazit
Letzten Endes sind in den Bereichen E-Sport, Akzeptanz und Nachwuchsförderung also einige blinde Flecken, denen sowohl die Politik als auch die breite Öffentlichkeit mehr Beachtung schenken sollte. Die Vorteile gehen über rein marktwirtschaftliche Zugewinne hinaus und können durch Gamification unseren Alltag bereichern. Andere Länder erkennen diese Potentiale bereits und fördern entsprechend. Damit Deutschland nicht zurückfällt, wäre eine Zeitenwende im Gaming-Bereich nötig.